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Pressemitteilung der Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Scharmer und Rechtsanwalt Stolle v. 11. Juni 2013

Carsten S. belastet Ralf Wohlleben schwer. Keine Entlastung für Zschäpe.

Der heutige Hauptverhandlungstag stand ganz im Zeichen der Fortsetzung der Einlassung des Angeklagten Carsten S.

Zunächst begann der 8. Hauptverhandlungstag mit einer Auseinandersetzung um die sogenannte 129er-Liste der Bundesanwaltschaft. Auf dieser Liste befinden sich alle Personen, die von der BAW dem Umfeld des NSU zugerechnet werden. Diese Liste wurde den Prozessbeteiligten im Rahmen des letzten Hauptverhandlungstages ausgehändigt. Der von Rechtsanwalt Scharmer gestellte Antrag, sämtliche Personen, die auf der Liste geführt werden und die nicht Angeklagte und nicht Verfahrensbeteiligte sind, als potentielle Zeugen zu behandeln und sie deswegen zunächst von einem Zuhören der Hauptverhandlung auszuschließen, wurde heute vom Vorsitzenden abgelehnt. Auf die nochmals gestellte Nachfrage von Rechtsanwalt Scharmer, ob es sich denn um die aktuelle Liste handeln würde, erklärte Frau OStA'in Greger von der BAW überraschend, dass es eine Aktualisierung gäbe, auf der sich erst 400, später dann 500 Personen befinden würden. Nach langer Diskussion zwischen der BAW, der Nebenklage und der Verteidigung erklärte sich Dr. Diemer bereit, bis zur nächsten Woche die Liste den Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu geben.

Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:

"Die Bundesanwaltschaft versorgt die Verfahrensbeteiligten offensichtlich nur scheibchenweise mit Informationen. Sie sortiert dabei selbst, was sie für relevant hält und ignoriert klare Anforderungen der Verfahrensbeteiligten. Bemerkenswert ist, dass nach Bereitstellung der so genannten Liste mit 129 Personen aus dem Umfeld des NSU von der BAW selbst kein Hinweis erfolgte, dass diese Liste längst überholt ist. Die Erklärung, es sei explizit "nur" die "129iger-Liste" angefordert gewesen, ist vorgeschoben. Tatsächlich ging es um den Inhalt, nicht um Zahlen. Das war jedem im Saal klar. Es stellt sich die Frage, ob und ggf. welche Aktenbestandteile die Bundesanwaltschaft bislang zurück hält oder in Spurenakten gewissermaßen vergraben hat. Unserer Mandantin geht es um maximale Aufklärung. Ein solches Verhalten der Anklagebehörde schafft ggf. unnötiges Misstrauen."

Am Vor- und Nachmittag wurde dann die Vernehmung von Carsten S. fortgesetzt, die einige Überraschungen bereithielt. Carsten S. berichtete zunächst, dass einer der beiden Uwes ihn bei der Waffenübergabe provokativ gefragt habe, wieviel sein Fingerabdruck wert sei und zudem berichtet habe, eine Maschinenpistole ("UZI") im Rucksack zu haben. Ferner erklärte Carsten S. u. a., dass Böhnhardt und Mundlos bei der Übergabe der Waffe in Chemnitz ihm gegenüber erwähnt haben sollen, dass sie eine "Taschenlampe in Nürnberg in einem Geschäft hingestellt hätten". Was damit konkret gemeint war, wusste er nicht. Er vermutete aber, dass es sich dabei um einen - möglicherweise versuchten - Sprengstoffanschlag gehandelt haben könnte. Außerdem soll Böhnhardt und Mundlos zu Carsten S. "Psst" gesagt haben, als Zschäpe dazukam.

Des Weitern hat er Wohlleben schwer belastet. Nach einem Telefonat mit Mundlos und Böhnhardt soll er beispielsweise gegenüber Carsten S. lächelnd gesagt haben, die hätten einen angeschossen. Auch hat Carsten S. von Beteiligungen von Wohlleben an Übergriffen und Körperverletzungen gegen politisch Andersdenkende geschildert.

Rechtsanwalt Stolle erklärt dazu:

"Eine Entlastung für Zschäpe stellte die Aussage von Carsten S. nicht dar. Die Schlussfolgerung, dass Böhnhardt und Mundlos vor der Angeklagten Zschäpe die von ihnen verübten Anschläge geheim haben wollten, ist zwar möglich, aber nicht zwingend. Naheliegender ist es, dass Böhnhardt und Mundlos nicht wollten, dass Zschäpe erfährt, dass sie vor Carsten S. möglicherweise mit möglichen Anschlagsversuchen geprahlt haben."

Die Vernehmung von Carsten S. wird morgen fortgesetzt.