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Presseerklärung der Nebenklagevertreter Rechtsanwälte Sebastian Scharmer und Peer Stolle vom 30. September 2013

Die neu aufgetauchte Zeugin aus Dortmund, die angibt, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt dort kurz vor dem Mord an Mehmet Kubasik gesehen zu haben, ist jedenfalls für den Tatnachweis nicht erheblich.

Die Hauptverhandlung begann heute zunächst zeitverzögert, da den Verfahrensbeteiligten erst Einsicht in umfangreiches weiteres Ermittlungsmaterial zur Zeugin A. aus Dortmund gegeben wurde. Eine Nebenklagekollegin hatte beantragt, die Zeugin zu hören, weil sie zumindest Zschäpe auf einem Nachbargrundstück in Dortmund kurz vor dem Mord an Mehmet Kubasik gesehen habe. Sie sagte relativ umfangreich und detailliert aus. Sie erinnere sich noch so genau, weil sie am 31.03.2006 einen Möbelwagen erwartete und ein Wohnmobil vor dem Nachbargrundstück die Einfahrt versperrte. Sie habe daran einen Zettel angebracht, mit der Bitte wegzufahren, was auch am gleichen Tag getan wurde. Nicht am selben Tag, aber an einem Nachmittag danach habe sie vom Dachfenster aus einen Skinhead, drei weitere Männer und Frau Zschäpe an einer Schaukel gesehen. Die habe sie zunächst durch ein Fernglas beobachtet. Als sie das Fernglas dann weglegte, um „Hallo Nachbarn“ zu sagen, habe sie Frau Zschäpe in die Augen geschaut. Dann hätten sich alle vom Nachbargrundstück „ganz vorbildlich“ wegbewegt. Es habe wie ein „Theaterstück“ gewirkt.

Im Vorfeld, so die Zeugin weiter, habe sie der Zaun auf dem Nachbargrundstück gestört, weil der so wild aussah. Kontakt zu den Nachbarn habe sie vorher nicht gehabt. Im Frühjahr 2005 habe der „Skin“ mit Grabungen auf dem Grundstück begonnen, die sie beunruhigt haben. Als der Skin merkte, dass sie ihn beobachtete, habe er sie angeschaut und eine herausfordernde Haltung angenommen. Sie hätten aber nicht miteinander gesprochen. Im November 2011 habe sie die Fahndungsfotos von Böhnhardt, Mundlos gesehen und spontan geäußert: „Das sind die Männer, die ich auf dem Grundstück gesehen habe und Wohnwagen waren ja auch oft da“. Als sich dann der Kontext NSU aus den Medien erschlossen habe, habe sie auch Frau Zschäpe auf einem Foto wiedererkannt. Aus den Medien habe sie von Listen mit zahlreichen Unterstützern des Trios erfahren. In Dortmund habe sie wegen der dort breiten rechten Szene auch Sympathisanten vermutet. Sie habe ihr Wissen ernst genommen, mit niemanden geteilt und wollte es anbringen, wenn es nötig erscheint. Sie habe darauf vertraut, dass dieses Wissen auch ohne ihre Wahrnehmungen bekannt wird. Als sie die Anklage mitbekam, war sie erstaunt, dass niemand aus Dortmund unter den Angeklagten war. Dann dachte sie, dass sie ihre Informationen besser doch weiter geben sollte. Sie wollte nicht zur Polizei, weil ihr das eine Stufe zu hoch war und meinte, es ginge auch anders. Sie wandte sich deswegen Mitte Februar 2013 zunächst an einen Journalisten, habe ihm aber nicht erzählt, dass sie Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gesehen habe. Am 24.06.2013 habe sie dann von dem Antrag von Rechtsanwalt Bliwier gelesen, den Dortmunder Neonazi Robin Sch., den Brieffreund von Zschäpe, zu vernehmen. Da habe sie beschlossen, ihr Wissen noch einmal mitzuteilen. Nach den Berichten über die Arbeit der Untersuchungsausschüsse habe sie zudem kein ausreichendes Vertrauen in die Arbeit der Polizei gehabt und sich auch deshalb an einen Nebenklageanwalt gewandt.

Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:

“Auf die Aussage der Zeugin A. wird man eine Verurteilung jedenfalls nicht stützen können. Auf die Wahrnehmung der Zeugin kommt es aber auch im Ergebnis nicht an. Die Aussage ist in einigen Punkten schwer nachvollziehbar. Die Zeugin wird aus ihrer Sicht möglicherweise tatsächlich eine Ähnlichkeit mit einer Frau auf dem Nachbargrundstück und Frau Zschäpe festgestellt und 6 Jahre später verinnerlicht haben. Es erscheint aber bislang nicht wahrscheinlich, dass es wirklich Frau Zschäpe war. Insofern verbessert die Aussage die Beweislage nicht, sie wird aber auch dadurch nicht etwa schlechter. Die Anklage wirft Zschäpe gerade nicht vor, an den Tatorten mit Böhnhardt und Mundlos zusammen gearbeitet zu haben. Für ihre Mittäterschaft gibt es zahlreiche aussagekräftige Indizien. Wichtig ist dennoch, dass der Senat jedem plausiblen Hinweis nachgeht. Denn dabei geht aus auch um die Ermittlung von weiteren Unterstützern des NSU, die den Familien der Opfer und uns besonders wichtig ist.“

Anschließend wurden noch zwei weitere ermittelnde Polizeibeamte zum Mord an Halit Yozgat am 6. April 2013 gehört. Ein Beamter hatte die fotografische Tatortdokumentation vorgenommen. Die Fotos wurden in Augenschein genommen.

Ein weiterer Beamter sagte aus, dass sich während der Tatzeit mindestens 5 Personen am Tatort aufgehalten haben. Andreas T. war vor Ort, hatte sich aber nicht bei der Polizei gemeldet. T. war V-Mann-Führer beim Verfassungsschutz. Er hatte nach seiner vorläufigen Festnahme mehrfach widersprüchliche Angaben gemacht, insbesondere will er aus dem Internetcafé gegangen sein und Halit Yozgat nicht an seinem Platz hinter dem Tresen gesehen haben. Das passte mit den zeitlich nachvollziehbaren Schilderungen der anderen Zeugen nicht zusammen. In der Wohnung von T., die durchsucht wurde, wurden mehrere Schusswaffen und Munition sowie verschiedene abgeschriebene Schriftstücke aus dem Dritten Reich aufgefunden – unter anderem Zitate aus „Mein Kampf“. T. hatte dazu angegeben, dass er diese Schriftstücke im Jugendalter selbst verfasst und Stempel und Unterschrift von Adolf Hitler nachgemacht habe. Für verschiedene andere Tatzeiten habe er Alibis vorweisen können. Er habe die These vertreten, dass V-Männer die von Andreas T. geführt wurden, in Verbindung mit der Tat stehen könnten. Das Innenministerium habe aber mit Unterschrift von Volker Bouffier verhindert, dass weitere Ermittlungen zu den V-Leuten angestellt werden können. Weil es um Mord ging, habe der Polizeibeamte das damals nicht nachvollziehen können.

Rechtsanwalt Stolle erklärt dazu:

“Der Hessische Verfassungsschutz und der damalige Innenminister Volker Bouffier persönlich haben nicht nur die Bedrohung durch rechtsradikale Täter vollkommen unterschätzt, sie haben auch die Ermittlungen in der Mordserie nicht unerheblich behindert. Die Nebenklage wird diese Fragen in der vorgesehenen Vernehmung von Andreas T. weiter thematisieren.“

Andreas T. wird morgen vernommen werden – jedenfalls wenn es eine Aussagegenehmigung vom Hessischen Innenministerium gibt.

Die weitere für heute vorgesehenen Vernehmung von Ismail Yozgat, dem Vater von Halit Yozgat, wurde wegen der langen Befragung der Zeugin A. verschoben.