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Presseerklärung der Nebenklagevertreter Rechtsanwälte Sebastian Scharmer und Peer Stolle vom 1. Oktober 2013

Ismail Yozgat schildert bewegend, wie er seinen Sohn mit Kopfschüssen in seinem Laden fand und er in seinen Händen starb. Über Jahre hinweg wurde die Familie selbst verfolgt und isoliert. Der V-Mann Führer Andreas T. macht widersprüchliche Angaben.

Die Hauptverhandlung begann mit der Vernehmung von Ismail Yozgat. Er hat seinen Sohn Halit am 6. April 2006 zunächst nicht im Laden stehen sehen, gedacht, er liege hinter dem Tisch, um einen Computer zu reparieren. Dann habe er ihn in seinem Blut liegen sehen. Er habe ihn in die Arme genommen und geschrien, warum er nicht antworte. Er habe zunächst gar nicht an eine Schussverletzung gedacht. Er konnte nicht telefonieren, lief raus, rief um Hilfe. Dann kamen Polizei und Krankenwagen. Er dürfte nicht mehr in den Laden zurück. Einen Tag vor seinem Geburtstag sei sein Sohn erschossen worden. Nie wieder werde er seinen Geburtstag feiern. Die Polizei habe ihn gleich mitgenommen und mehrere Stunden vernommen. Er konnte noch nicht einmal selbst seinen Töchtern mitteilen, dass ihr Bruder erschossen wurde. Er schilderte, dass er nie vergessen kann, wie er seinen 21jährigen Sohn zu Grabe tragen musste. Als er aus der Türkei wieder kam, war das Zimmer seines Sohnes versiegelt. Er konnte noch nicht einmal zum Andenken hinein. Schon waren Gerüchte in der Welt. Sie haben sich nicht mehr getraut hinaus zu gehen. Alle haben sie schräg angeschaut – Deutsche, wie Türken. Man habe sie auf den „Dönerserienmord“, auf Drogen oder Mafia angesprochen. Er fragt: „Warum haben sie meinen Sohn, mein Lämmchen, getötet“? Er hatte nichts getan. Alle Verwandte und Freunde seien mit schlechten Worten über seinen Sohn und seine Familie vernommen worden. Nicht einmal die türkischen Verwandten haben mit ihnen danach noch gesprochen. Er habe das alles nicht ausgehalten und einen Herzinfarkt erlitten.

Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:

“Die Vernehmung von Ismail Yozgat war sehr bewegend. Sie zeigt noch einmal sehr eindrücklich, dass neben den Folgen der Hinrichtung von Halit Yozgat auch die Ermittlungen der Polizei traumatisch und folgenschwer waren. Von dem angeblich vertrauensvollen Verhältnis, dass ein Polizeibeamter in der letzten Woche zur Familie Yozgat behauptet hat, kann keine Rede sein. Die Familie wurde selbst systematisch verfolgt und damit auch unter Freunden, Bekannten und Verwandten isoliert. Auf rassistische Tatmotive hatte Ismail Yozgat aktenkundig hingewiesen. Statt diesen Spuren mit Nachdruck zu folgen, überwachte man die Telefone der Familie, diskreditierte sie und versuchte sie durch verdeckte Ermittler zu infiltrieren: Ein weiterer klarer Beleg für den für die Tatfolgen mitursächlichen institutionellen Rassismus der Ermittlungsbehörden.“

Danach hörten wir einen Auffindezeugen aus dem Internetcafé. Während er – damals 14jährig - im Internet im hinteren Raum des Cafés surfte, hörte er aus dem vorderen Raum einen Knall und ein dumpfes Geräusch, dachte aber, es wäre etwas runter gefallen. Später habe er die Rufe des Vaters wahrgenommen und noch versucht Hilfe zu holen. Dass Halit Yozgat erschossen wurde, habe er erst später von der Polizei erfahren.

Eine weitere im Internetcafé während der Tatzeit anwesende Zeugin sagte aus, dass sie dort zusammen mit ihrem 2 ½ jährigen Kind im so genannten Familienzimmer in die Türkei telefoniert hatte. Sie habe dann Schreie gehört, erst gedacht, es gäbe eine Schlägerei. Dann stellte sie aber fest, dass der Vater des Cafébetreibers schrie und rannte an ihm und dem Opfer vorbei mit ihrem Kind heraus. Sie war damals im siebenten Monat schwanger und musste nach dem Schock ins Krankenhaus und bekam später eine Frühgeburt.

Am Nachmittag begann die Vernehmung des Zeugen Andreas T. Er war zum Tatzeitpunkt als V-Mann Führer des Hessischen Verfassungsschutzes tätig. Er gab an, nach Dienstschluss in das Internetcafé von Halit Yozgat gegangen zu sein. Dort habe er ca. 10 Minuten gesurft. Als er gehen wollte, habe er Halit Yozgat angeblich nicht gefunden, deswegen 50 Cent auf den Tresen gelegt und sei gegangen. Von der Tat habe er erst am Sonntag danach aus einer örtlichen Zeitung erfahren. Dann habe er auf seine Stempelkarte geschaut und gedacht, er sei am Vortag vor dem Mord im Internetcafé gewesen. Deswegen habe er sich nicht bei der Polizei gemeldet. Später wurde er von der Polizei vorläufig festgenommen, vernommen und konnte wieder gehen. Im Anschluss folgten noch etliche Vernehmungen. Er habe sich bei der Polizei zum einen deswegen nicht gemeldet, weil er als verheirateter Mann nicht erklären wollte, warum er in einem Dating-Portal gechattet hatte. Außerdem befürchtete er „dienstliche Nachteile“, weil sich in der Nähe des Internetcafés ein „Beobachtungsobjekt“ befunden hätte. Er hätte als V-Mann Führer unter anderem im Bereich Islamismus gearbeitet. Aus heutiger Sicht sei es „völlig falsch“ gewesen, dass er sich bei der Polizei nicht gemeldet hatte. Er habe damals auch eine Quelle im Bereich Rechtsextremismus geführt. Mit der habe er sich wenige Tage später, am 10.04.2006 getroffen. An genaue Inhalte erinnere er sich nicht, auch nicht, ob er einen Vermerk darüber gefertigt hat. Der Mann habe ihn auf den Mord angesprochen, jedoch habe er ihn abgeblockt. Eine eigene Erinnerung habe er nicht, sondern seine Informationen aus dem Untersuchungsausschuss. Er habe sich am Sonntag, als er von dem Mord aus der Zeitung erfahren haben will, eingeredet, dass er am Mittwoch und nicht am Donnerstag im Internetcafé gewesen sei, deswegen zu dem Mord nichts sagen könne. Plausibel erklären konnte er diesen vermeintlichen Irrtum auch auf mehrfache Nachfrage des Vorsitzenden nicht.

Rechtsanwalt Stolle erklärt dazu:

“Die Aussagen des Zeugen Andreas T. sind nicht glaubhaft. Er erweckt den Verdacht, dass er durchaus Wahrnehmungen zum Tatgeschehen gemacht hatte, diese aber nicht offen legen will. Vom Vorsitzenden auf die offensichtlichen Widersprüche in seiner Vernehmung angesprochen, konnte er keinerlei plausible Erklärung geben. Die Vernehmung wurde heute nur begonnen, Nebenklage und Verteidigung werden noch viele Fragen stellen, wobei zweifelhaft ist, ob irgendwann auch nachvollziehbare Antworten erwartet werden können.“

Die Vernehmung von Andreas T. wird für heute unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden. Bis dahin wird geklärt werden, ob noch weitere Akten über ihn seitens des Gerichts beigezogen werden.