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Pressemitteilung der Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Scharmer und Rechtsanwalt Stolle vom 15. Oktober 2013

Mordfall Boulgarides: Hinweise auf rassistisches Motiv der Tat wurde konsequent ignoriert

Der 46. Hauptverhandlungstag begann mit der Vernehmung einer Polizeibeamtin, die an der Auswertung verschiedener Asservate beteiligt gewesen ist. Sie wurde zunächst zu einigen Rechnungen und Verträgen zu Fahrzeuganmietungen angehört. Ihre Vernehmung zu den weiteren von ihr vorgenommenen Auswertungen wurde auf den nächsten Tag verschoben.

Anschließend sagte ein BKA-Beamter aus, der mit der Auswertung von Kartenmaterial, das in der Frühlingsstraße gefunden worden ist, befasst war. Insgesamt wurden Karten zu 14 verschiedenen Städten gefunden. Auf dem Kartenmaterial befanden sich eine Vielzahl von Markierungen, meist Kreuze und Umkreisungen. Es handelte sich dabei offensichtlich um Ausspähungsobjekten. Ebenfalls gefunden wurden Adresslisten. Die dort aufgeführten Adressen stimmen in hohem Maße mit den Markierungen auf dem Kartenmaterial überein. In diesen Listen finden sich darüber hinaus diverse Anmerkungen zu den Ausspähungsobjekten, die - so der Zeuge - nur nach persönlicher Anwesenheit hätten gemacht werden können.

Anschließend wurde ein Beamter der Mordkommission der Polizei München zum Mordfall Kilic angehört, der die beiden Zeugen, die am Tatort zwei Fahrradfahrer gesehen haben, vernommen hat. Der Zeuge hat noch mal bestätigt, wie auffällig die Übereinstimmungen in den Aussagen der beiden Zeuginnen, die unabhängig voneinander gemacht worden sind, gewesen sind.

Am Nachmittag stand der Mordfall Boulgarides im Mittelpunkt der Beweisaufnahme. Zunächst wurde ein Sachverständiger angehört, der sich mit der Ausbreitung von Mobilfunkzellen beschäftigt hat. Zur Erinnerung: Im Brandschutt der Frühlingsstraße wurde ein Handy samt SIM-Karte gefunden. Dieser Mobilfunkanschluss wurde ca. drei Stunden vor dem Mord an Boulgarides von einer Telefonzelle aus Zwickau angerufen. Nach Angaben des Sachverständigen befand sich das Mobilfunkgerät zum Zeitpunkt des Anrufes genau in der Funkzelle, die den Tatortbereich abdeckt.

Rechtsanwalt Stolle erklärt dazu:

"Dies spricht dafür, dass Beate Zschäpe von einer Telefonzelle aus Böhnhardt und Mundlos unmittelbar vor dem Mord an Theodor Boulgarides angerufen hat."

Im Anschluss wurde der damalige Ermittlungsführer im Mordfall Boulgarides vernommen. Er hat den Getöteten als vollkommen integer beschrieben. Bezüge zu kriminellen Machenschaften hätten nicht bestanden. Polizeilich auffällig sei er weder in Griechenland noch in Deutschland gewesen. Ein greifbares Motiv für die Tat habe nicht vorgelegen. Trotz dieser Erkenntnisse und der bereits einem Tag nach der Tat vorliegenden Mitteilung des BKA, dass dieser Mord auch Teil der bundesweiten Ceska-Mordserie war, wurden die Angehörigen nach intimen Details aus dem Privatleben des Getöteten befragt. Aus der Befragung des Polizeibeamten durch die Nebenklage ergab sich, dass drei Tage nach der Tat zwei Angehörige der rechtsextremen Szene direkt vor dem Laden des Getöteten anhielten. Eine Überprüfung ergab, dass diese Kontakt zu zwei Rechtsextremisten, u. a. Martin Wiese, unterhielten, die bereits wegen Anschlägen polizeilich auffällig gewesen sind. Trotzdem wurde diese Spur nicht weiter verfolgt und sich u. a. mit der Aussage eines der Rechtsextremisten zufrieden gegeben, einer seiner Freunde sei Muslim.

Die Befragung hat ergeben, dass seitens der Soko keine Ermittlungen im Hinblick auf ein rassistisches/rechtsextremistisches Motiv geführt wurden, obwohl es dahingehend Hinweise gab. Dass diesmal ein griechischer und nicht ein türkischer Gewerbetreibender ermordet worden ist, könne, so der Ermittlungsführer, mit einer Verwechslung erklärt werden, da Herr Boulgarides türkisch ausgesehen habe. Die gemeinsame Eigenschaft "Ausländer" und ein daraus resultierendes Tatmotiv drängten sich dem Beamten nicht auf.

Rechtsanwalt Stolle erklärt dazu:

"Die Vernehmung des Ermittlungsführers belegt zum wiederholten Male das Problem des institutionellen Rassismus in den Ermittlungsbehörden. Alle Motive wurden in Betracht gezogen, egal ob es dafür Anhaltspunkte gab oder nicht, nur eine rassistische Tatmotivation wurde von vornherein ignoriert."