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Pressemitteilung der Nebenklagevertreter Rechtsanwälte Stolle und Scharmer vom 19.11.2013

“Dann kam diese unsägliche Garagendurchsuchung“: Brigitte Böhnhardt, die Mutter von Uwe Böhnhardt, berichtet ihre begrenzte Sicht der Dinge. Sie stand lange Zeit mit dem Trio im Untergrund in Verbindung.

Als einzige Zeugin für den heutigen Tag war Brigitte Böhnhardt geladen. Sie berichtete zunächst über die schulische Entwicklung ihres Sohnes in der DDR. Auch wenn er hier Verhaltensauffälligkeiten zeigte, habe er sich gefangen. Er sei ein Nachzügler gewesen, ein „aufgewecktes Kerlchen“. Mit der Wende kamen massive Probleme in der Schule. Es war ein starker Einbruch. Er habe keine Freunde mehr gehabt. Ein Klassenzusammenhang fehlte. Sie sei selbst Lehrerin gewesen und habe ihren Kollegen sehr übel genommen, dass sie nicht über das Schulschwänzen informiert wurde. Da begannen die Probleme. Uwe schloss sich älteren Schülern an. In der Gruppe beging er zunächst kleinere Diebstähle. Die Älteren hätten ihn angestiftet und vorgeschoben. Die Schule hätte ihn aufgegeben, sie im Regen stehen lassen. Ihre Interventionen beim Jugendamt und Schulamt wären ignoriert worden. Letztlich sei Uwe bereit gewesen, in ein Kinderheim zu gehen. Auch dort habe er geschwänzt und sei raus genommen worden. Dann habe sie ihn in einer Förderschule, damals „Hilfsschule“ genannt, angemeldet, weil er „seine Schulpflicht nicht erfüllt“ hatte. Auch dort sei er raus geflogen. Es sei mit dem Jungen „ein einziger Kampf“ gewesen. Im Februar 1993 wurde er dann erstmals in U-Haft genommen. Das sei dann die bis dahin schlimmste Zeit gewesen. Als Eltern waren sie am Ende und dachten auch, Uwe habe das eigentlich verdient. Allerdings hätten sie eine Unterbringung in einem Gefängnis für Erwachsene nicht erwartet. Uwe B. hätte dann den Vorsatz gehabt, etwas aus seinem Leben zu machen. Nach ihrer Intervention habe er einen Schulplatz in Winzerla bekommen, um seine „Schulpflicht zu erfüllen“. Wahrscheinlich sei er auf dem Schulweg auch „mit anderen Jugendlichen aus Winzerla“ in Kontakt gekommen. Dann hatten sie eine Berufsförderungsmaßnahme organisiert. Er sei jedoch erneut in Untersuchungshaft gekommen. Nach seiner Entlassung habe er das BVJ mit Erfolg abgeschlossen und 1994 eine Lehrstelle als Hochbaufacharbeiter bekommen, dann allerdings 1996 arbeitslos geworden. Die Arbeitssuche sei – bis auf die Tätigkeit in einer Drückerkolonne und eine kurzfristige Arbeit 1997 in Eisenach - ohne Erfolg gewesen.

Er habe neue Freunde gefunden. Mundlos, Zschäpe und Wohlleben mochte sie. Sie seien immer höflich und zuvorkommend gewesen, waren alle arbeitslos und hatten viel Zeit. „Gott sei dank hatte der Uwe die Beate.“ Bei der sei er während der Sanierung des Wohnblocks zwischenzeitlich eingezogen. 1997 stand die nächste Anklage ins Haus. An welchen Demonstrationen er teilgenommen hat, wussten sie nicht. Sie frage sich immer, wer das bezahlt habe. Heute wisse sie, dass das der Tino B. oder der Verfassungsschutz war. Uwe habe nichts davon erzählt, er habe ihnen nicht weh tun wollen. Uwe habe dann wieder bei ihnen gewohnt. „Dann kam diese unsägliche Garagendurchsuchung.“ Sie habe das ganz anders in Erinnerung, als im Polizeiprotokoll steht. Zwei Durchsuchungen seien vorher schon ohne ihre Anwesenheit in der Wohnung gewesen. Bestimmt hätten sie dabei die Dinge versteckt, die sie später gefunden haben. Zur Garagendurchsuchung habe sie zu Uwe gesagt „Er solle aufpassen, dass sie nichts finden, was vorher nicht drin war.“ In der ersten Garage, die von ihr und ihrem Mann genutzt wurde, sei nicht gefunden worden. Die Polizeibeamten hätten ihn gebeten, ihnen mit seinem Auto zu einer weiteren Garage zu folgen. Die Schlüssel für die erste Garage hätten dann wieder in der Wohnung gelegen. Von ihrem Sohn habe sie erfahren, dass vor der weiteren Garage ein Polizeibeamter zu ihm gesagt habe, er sei jetzt fällig, der Haftbefehl sei unterwegs. Darauf sei Uwe zu seinem Auto gegangen und einfach weggefahren.

Die Polizei habe daraufhin nach ihrem Sohn gesucht. Sie habe überhaupt nichts gewusst. Nie hätten sie gesagt, dass die in Mecklenburg-Vorpommern seien. Das sei eine Lüge. Die Eltern von Mundlos wussten nichts. Sie habe auch Andre K. und Ralf Wohlleben gefragt. Auch die hätten nichts gewusst. Dann sei endlich der erlösende Anruf gekommen. Sie haben einen zettel im Briefkasten gehabt mit der Beschreibung einer Telefonzelle und Zeit. Dort habe Uwe angerufen. Er habe gesagt, sie (die drei) seien zusammen und es gehe ihnen gut. Wo die waren, wollte sie gar nicht wissen. Sie hätte immer wieder verlangt, dass sie sich stellen. Sie würden ihn und seine Freunde unterstützen. Das wollten sie nicht. Folgetelefonate seien dann immer beim letzten Gespräch verabredet worden. Polizei, LKA und Verfassungsschutz wollten von ihr wissen, wo die drei sind. Sei seien bedrängt und teilweise bedroht worden. Bis Herbst 1998 hätten sie 2-3 Mal telefoniert. Dann kam der Rechtsanwalt T. auf sie zu. Der Verfassungsschutz sei auf ihn zu gekommen und man würde versuchen die Drei zu überreden sich zu stellen. Diesen „Strohhalm“ hätte sie ergriffen. Es habe drei Treffen mit dem Anwalt an verschiedenen Orten gegeben, weil sie Angst hatte, abgehört zu werden. Ein Treffen mit dem Staatsanwalt hätte ergeben, dass Uwe zehn Jahre Freiheitsstrafe drohen könnten. Bei einem Selbststellen könnten 5 Jahre daraus werden und es sei eine vorzeitige Entlassung möglich. Sie sei über den Tisch gezogen worden, habe ihnen nicht gesagt, wo die sind. Es gab dann noch mehrere Versuche über Rechtsanwalt T. Dann habe der Verfassungsschutz und die Staatsanwaltschaft gesagt, dass die die auch so kriegen. Zwei Beamte des LKA hätten ihnen gesagt, wenn die bei der Festnahme nur zucken, würden sie mit der Waffe schneller sein. Sie hätten das gelernt. Sie glaubt, dass die nicht wollten, dass die sich stellen. Sonst hätten sie dieses Drohungen nicht ausgesprochen. Mit Herrn Roewer, dem damaligen Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz hätten sie nie selbst gesprochen. Der hat immer nur seine Mitarbeiter geschickt. Wie die hießen, wüsste sie nicht nicht mehr. Ihren Kalender habe sie weggeworfen.

Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:

“Die Sicht von Brigitte Böhnhardt ist naturgemäß sehr subjektiv. Viele Interpretationen von ihr sind davon geprägt, ihren Sohn und seine Freunde im Nachhinein in Schutz zu nehmen. Beispielsweise habe die Polizei vermeintlich die aufgefundenen Waffen und den Sprengstoff selbst versteckt. Auch ein Gespräch mit der Staatsanwaltschaft über eine mögliche Straferwartung nahm sie sehr begrenzt wahr. Wenn ein Staatsanwalt erklärt, die maximale Straferwartung habe 10 Jahre betragen, so ergibt sich das tatsächlich aus dem Gesetz. Fünf Jahre Straferwartung und die Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung waren jedenfalls im Hinblick auf die Vorstrafen – über 2 Jahre waren ohnehin schon zu vollstrecken - und den Fakt von Bomben- und Sprengstofffunden aus damaliger Sicht durchaus nicht unrealistisch. Auch die von Brigitte Böhnhardt angegebene Aussage von LKA Beamten, wenn die Drei bei ihrer Festnahme „zucken“ würden, könnten sie erschossen werden, ist objektiv betrachtet sicher wenig sinnvoll gewesen, sollte jedoch eher ein Selbststellen bewirken, als ein weiteres Untertauchen. Auffällig ist, dass Brigitte Böhnhardt von sich aus keinerlei Aussagen zur politischen Gesinnung ihres Sohnes und seiner Freunde gemacht hat. Sie scheint dies zumindest heute nahezu auszublenden.“

Bei den Telefongesprächen 1998 sei raus gekommen, dass Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt sich hätten stellen wollen, Uwe Mundlos aber dagegen gewesen sei. Ihr Sohn habe aber auch große Angst vor dem Gefängnis nach seinen letzten Erfahrungen in Untersuchungshaft gehabt. Einmal habe er eine rechtsradikale CD gekauft, die sollte er aber schnellstmöglich wieder los werden. Bei der Durchsuchung in der Garage in Borga wurde Sprengstoff gefunden. Ihr Sohn habe ihr erzählt, dass den die Polizei da versteckt hat. Auf die Frage, wovon sie leben würden, hätte ihr Sohn gesagt, sie hätten Freunde, die sie unterstützen würden. Zu den Eltern von Mundlos und Zschäpe sollten sie, so ihr Sohn, auf keinen Fall Kontakt aufnehmen. Der Vater von Mundlos habe ihr erklärt, dass Uwe Böhnhardt für alles die Hauptverantwortung habe. Sie meine jedoch, alle Drei seien gleich verantwortlich, sie hätten sich als Erwachsene Menschen alle entschieden, im Untergrund zu leben und zu bleiben.

Im Frühjahr 1999 hätten sie und ihr Mann die Drei in Chemnitz getroffen. Ein Zettel mit unbekannter Schrift im Briefkasten habe die Anweisungen für dieses Treffen im Park nahe der Autobahnabfahrt gegeben. Ihr Sohn habe über das „Angebot“ der Staatsanwaltschaft nachdenken wollen, das sei aber vorher zurück gezogen worden.

Bis 1999 hatten sie und ihr Mann die Drei auch mit Geld unterstützt. Das hätten mehre Leute abgeholt. Einen kannte sie: Andre K. Man hätte ihr eine Parole gesagt, dann wäre sie runter gegangen und hätte jeweils das Geld übergeben. Bei einem Telefonat habe Uwe ihr mitgeteilt, dass er das Geld nicht bekommen hatte, was sie vorher an Andre K. übergeben hatte. Nach 1999 hätten sie die Drei nicht mehr unterstützen wollen, weil sie sich nicht habe stellen wollten. Danach hätten sie nur noch selten telefoniert.

Im Mai oder Juni 2002 habe es ein weiteres Treffen gegeben. Wieder hätten sie einen entsprechenden Zettel im Briefkasten gesprochen. Es war alles wie gehabt. Die Drei wollten sich auch weiterhin nicht den Behörden stellen. Danach hätten sie sich ganz normal unterhalten, mit Beate Zschäpe beispielsweise über Kochrezepte. Sie habe damals nicht geahnt, dass es ihr letztes Treffen war. Kurz vor dem Ende des Treffens wäre dann gesagt worden, dass dies das letzte Mal war und sie nun weggehen würden. Beate Zschäpe habe gesagt, sie habe sich das gut überlegt und würde mitgehen. Mundlos habe Frau Böhnhardt gesagt, er solle gut auf ihren Sohn aufpassen. Sie habe gedacht, die Drei seien ganz weit weg, auch weil sie trotz Fahndung nicht gefunden wurden. Erst am 5.11. hätte sie wieder von den Dreien gehört.

Rechtsanwalt Stolle erklärt dazu:

“Die Vernehmung der Zeugin belegt die Existenz weiterer Unterstützer. Neben Andre K. soll auch ein weiterer Mann zu ihr gekommen sein, um Geld für die Untergetauchten abzuholen. Dieser Mann sei ihr nicht bekannt gewesen. Auch die Einwürfe der Zettel mit den Daten wegen den Telefongesprächen und den Treffen deuten auf ein funktionierendes Unterstützernetzwerk hin. Dies gilt es zu ermitteln.“

Um politische Themen sei es nie gegangen. Sie habe das auch nicht angesprochen. Weil die Drei bei ihrem Treffen im Untergrund keine entsprechende Kleidung mehr getragen und keine Parolen mehr geäußert hatte, hätte sie eher geglaubt, dass sie sich nun davon distanziert hätten. Sie als Eltern haben diese rechte Einstellung auch nicht akzeptiert. Uwe B. dürfte zu Hause keine entsprechende Schriften, Plakate oder CD's aufbewahren. Ihr Sohn habe nur irgendwelche hohlen Parolen nachgeplappert, die er von anderen gehört habe. Auch mit Uwe Mundlos hätten sie darüber diskutiert, der habe aber irgendwann aufgegeben.

Die Vernehmung von Brigitte Böhnhardt wird morgen fortgesetzt.

Am Ende verkündete der Vorsitzende einen Beschluss, dass die Ermittlungsakten gegen André K. nicht beigezogen werden und damit auch keine Akteneinsicht gewährt wird. Ein Tatverdacht habe sich gegen André K. nicht erhärtet. Derzeit sehe der Senat keine Veranlassung hier weitere Nachforschung herbei zu führen.

Die Verteidigung von Carsten S. beantragte am Ende des Verhandlungstages einen V-Mann des BfV zu hören, der bekunden soll, dass Carsten S. trotz seiner „formal“ hohen Position in der rechten Szene nur eine untergeordnete Rolle gespielt habe.